UPDATE +++ Deutsche und europäische Behörden sollen beim Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat signifikante Krebsrisiken nicht berücksichtigt haben. Das warf ihnen der Statistikexperte Professor Christopher Portier am Sonntag in einem Brief an EU-Kommissionschef Jean Claude Juncker vor. Die EU-Kommission will nach Medienberichten trotzdem vorerst bei ihrem Urteil bleiben: Eine Krebsgefahr durch Glyphosat sei unwahrscheinlich. Die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hätten in ihrer abschließenden Bewertung deutlich steigende Tumorzahlen in bis zu sieben Tierstudien komplett ignoriert, kritisierte Portier, der sich per Gericht Zugang zu den Original-Studien der Industrie verschafft hatte. Der ehemalige Direktor des National Institute of Environmental Health Sciences der USA warf ferner dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vor, nur in jedem fünften Fall das erhöhte Krebsaufkommen bei Tieren unter Glyphosateinfluss erkannt zu haben. Das BfR hatte im Auftrag der EU die Glyphosat-Studien der Hersteller zuerst eingeschätzt. Nach Ansicht Portiers ist die Gesamtbewertung daher nicht geeignet, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Sie müsse aufgrund wissenschaftlicher Fehler überarbeitet werden. Das BfR wies die Vorwürfe zurück. Portier habe der ECHA und dem BfR seine Berechnungen bereits 2016 vorgetragen. Sie seien in die Risikobewertung eingeflossen. Die Tierstudien dürften nicht isoliert bewertet, sondern müssten nach Relevanz im Gesamtzusammenhang eingeschätzt werden, so das BfR. Das Pestizid-Aktionsnetzwerk PAN Germany erinnerte daran, dass eine weitere Studie, die für einen Krebseffekt von Glyphosat spricht, wegen angeblicher Virusinfektionen der Versuchstiere von der Bewertung ausgeschlossen wurde. Einziger Beleg dafür sei eine Bemerkung eines ehemaligen Mitarbeiters der U.S.-Umweltbehörde, der nach Prozessunterlagen dem Agrochemiegiganten Monsanto besonders verbunden gewesen sein soll. Wie der österreichische Sender ORF berichtete, will die EU-Kommission ECHA und EFSA auffordern, auf die Kritik Portiers zu antworten. Außerdem wird sie Mitte Juni im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel mit den Mitgliedsstaaten darüber verhandeln, ob und wie lange die Zulassung von Glyphosat verlängert werden soll. Kommissionspräsident Jean Claude Juncker hat der Bundesregierung bei einer Rede in Bonn jüngst schon nahe gelegt, dann Farbe zu bekennen: „CDU dafür, SPD dagegen, bundesdeutsche Enthaltung in Brüssel“, kritisierte Juncker das deutsche Abstimmungsverhalten beim Thema Glyphosat. „Enthaltung ist aber keine Haltung. Man muss singen, wenn man zum Singen aufgefordert wird.“ [vef] UPDATE mit weiteren QuellenPresseinfo PAN Germany - Glyphosat: Schwere Vorwürfe aufgrund neuer Fakten (29.5.2017)Dr. Christopher J. Portier - Open letter: Review of the Carcinogenicity of Glyphosate by ECM, EFSA and BIR (28.5.2017)European Commission - Presseinfo: Rede von Präsident Juncker anlässlich der Diskussionsveranstaltung der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik: "Europas Ende - Europas Anfang? Die EU zwischen Krise und Aufbruch" (8.5.2017)news.ORF.at: EU-Kommission bleibt bei Urteil über Glyphosat (30.5.2017)Süddeutsche.de: Neue Fragen bei Glyphosat (29.5.2017)Bayerischer Rundfunk - Diskussion um Glyphosat: Krebserregend oder nicht (30.5.2017)Infodienst: EU-Kommission will Glyphosat für weitere zehn Jahre zulassen (17.5.2017)Infodienst - Monsanto und Glyphosat: Akten belegen Einfluss auf Umweltbehörde (22.3.2017)Presseinfo des Bundesinstituts für Risikobewertung: Keine neuen Erkenntnisse bei der Risikobewertung von Glyphosat (30.5.2017)Video ZDF-Mediathek: Glyphosat doch krebserregend? (30.5.2017)