American Chestnut   Foto: DM, https://bit.ly/3Gbe991, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/Seit über zwanzig Jahren soll die Agro-Gentechnik die vom Aussterben bedrohte Amerikanische Esskastanie retten. Doch in Anbauversuchen waren die Gentech-Kastanien nicht so pilzresistent und gesund wie erwartet. Die Ursachenforschung zeigte exemplarisch, was bei gentechnischen Eingriffen alles schiefgehen kann. Im Dezember 2023 teilte die Stiftung zur Rettung der Amerikanischen Kastanie (The American Chestnut Foundation, TACF) mit, dass sie die Entwicklung der gentechnisch veränderten (gv) Amerikanischen Kastanie Darling 58 einstellen werde. Aufgrund erheblicher Leistungseinschränkungen sei sie nicht geeignet, die amerikanischen Kastanienwälder wiederherzustellen. Das anhängige Zulassungsverfahren für das Auspflanzen von Darling 58 in die freie Natur würde von ihr nicht mehr unterstützt, teilte TACF mit. Der Grund für die überraschende Mitteilung: Im Laufe des Jahres 2023 häuften sich „enttäuschende Leistungsergebnisse aus breit angelegten Feld- und Gewächshaustests von Darling-Bäumen der neuesten Generation an verschiedenen geografischen Standorten in externen Testeinrichtungen“, schrieb die Stiftung. Damit endet vorerst das Versprechen, mit gentechnischer Hilfe die amerikanische Esskastanie zu retten. Dieser für Nordamerika typische Baum wurde von einem Anfang des 20. Jahrhunderts aus Japan eingeschleppten Pilz befallen, der im Laufe der folgenden Jahrzehnte die riesigen Bestände zerstörte. Forscher der Universität von New York (SUNY) begannen Anfang der 1990er Jahre mit der Suche nach einer gentechnischen Lösung. Sie fügten ein Weizengen namens OxO in das Erbgut der Kastanie ein. Dieses Gen sorgt dafür, dass die Pflanze ein Enzym bildet, das Oxalsäure neutralisiert. Der Pilz produziert diese Säure in großen Mengen und löst damit den für die Bäume tödlichen Rindenkrebs aus. 2006 wurden die ersten Bäume ausgesetzt. Dabei erwies sich eine Linie, Darling 58 genannt, als besonders aussichtsreich. In den nun ausgewerteten Anbauversuchen wurden Kreuzungen von Darling 58-Bäumen mit herkömmlichen Amerikanischen Kastanien getestet. Die Anbauversuche simulierten also in gewisser Weise, was passieren würde, wenn sich ausgesetzte gv-Kastanien mit den letzten verbliebenen wilden Amerikanischen Kastanien vermischen. Da sich das OxO-Gen bei der Kreuzung nicht an alle Nachkommen vererbt, gab es in den Tests neben Bäumchen mit OxO-Gen auch Kontrollgruppen ohne das Gen. Diese Bäumchen wuchsen im Schnitt schneller und waren, jenseits der Pilzanfälligkeit, auch vitaler. So lebten in einem Versuch nach fünf Jahren noch 19 der 24 Bäumchen ohne OxO-Gen. Von den 24 Bäumen mit OxO-Gen waren nur noch fünf am Leben. Zudem zeigten sich bei den getesteten Bäumen mit OxO-Gen auffällige Schwankungen in der Resistenz gegenüber dem Schlauchpilz. Längst nicht alle waren so resistent wie gedacht. Für das gentechnikkritische Canadian Biotechnology Action Network (CBAN) kam das nicht überraschend. Ein einzelnes Gen könne mehr als ein Merkmal eines Organismus beeinflussen, schrieb CBAN: „In diesem Fall scheint die Einfügung des OxO-Gens das Wachstum des Baumes aus noch unbekannten Gründen zu behindern.“ Womöglich spielt es dabei auch eine Rolle, an welcher Stelle im Erbgut das neu eingefügte Gen genau sitzt. Denn die Ursachenforschung, die nach den miserablen Testergebnissen begann, brachte Folgendes ans Licht: Die SUNY-Wissenschaftler:innen, die an diversen gv-Kastanienlinien arbeiten, hatten vor Jahren ihr gv-Saatgut falsch deklariert und dadurch zwei Linien, Darling 54 und Darling 58, vermischt. Bei Darling 54 sitzt das OxO-Gen in einem anderen Bereich. Womöglich konnte es dort nicht so gut abgelesen werden. Das würde die verminderte Pilzresistenz erklären. Oder es sitzt in direkter Nähe von Genen, die zu Wachstum und Robustheit des Baums beitragen und behindert deren Expression. So erklärt zumindest der Gentechniker Wolfgang Nellen auf BioWissKomm die möglichen Auswirkungen. Aus Sicht der TAFC hat die Vermischung der SUNY-Wissenschaftler:innen die Arbeit der letzten Jahre zunichte gemacht. Doch der Bruch geht tiefer: „Es geht nicht darum, dass der Fehler gemacht wurde, es geht darum, dass man uns nicht darüber informiert hat“, zitierte die Washington Post eine Mitarbeiterin von TACF. Die Stiftung hatte von anderen Forschungspartnern von der Vermischung erfahren. Eine Entschuldigung dafür findet sich auf der Projektseite der SUNY nicht, dafür aber die Mitteilung, dass man den laufenden von der SUNY gestellten Zulassungsantrag für Darling 58 nicht zurückziehen werde. Stattdessen würden Unterlagen zur Sicherheit von Darling 54 nachgereicht. Das für die Zulassung zuständige Landwirtschaftsministerium (USDA) wolle mit der weiteren Bearbeitung solange warten, teilte die gentechnikkritische Organisation Global Justice Ecology Project mit. Deren Geschäftsführerin Anne Petermann forderte das USDA auf, den Zulassungsantrag zurückzuweisen. Dass SUNY die Deregulierung der fehlerhaften gv-Kastanie weiter verfolge, sei eine Missachtung der Wissenschaft und zeige, wie notwendig es sei, das gesamte Kastanienprojekt unabhängig zu untersuchen. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was die mit öffentlichen Mitteln finanzierten Forscher der SUNY wussten, wann sie es wussten und warum sie die Forschungsgemeinschaft und die Aufsichtsbehörden nicht über diesen kritischen Fehler in ihrer Forschung informierten“, sagte Petermann. Denn dieser Fehler hätte tragische Auswirkungen haben können, wenn die gv-Kastanie zugelassen worden wäre. [lf]