Agrarminister Cem Özdemir (re.) im Gespräch mit seinem spanischen Amtskollegen Luis Planas.  Foto: BMEL/Mewes  Luis Planas lässt nichts unversucht: Bis zur letzten Minute verhandelt der spanische Agrarminister mit seinen europäischen Amtskolleg:innen, um die nötige Mehrheit für eine weitgehende Freigabe neuer gentechnischer Verfahren (NGT) in der Landwirtschaft zu erreichen. Am 11. Dezember soll über den jüngsten Kompromissvorschlag des Ratspräsidenten zu der von der EU-Kommission geplanten Neuregelung abgestimmt werden. Bei einem Meinungsbild am Mittwoch fand sich dafür nach Auskunft einer Sprecherin keine qualifizierte Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten. Doch offenbar hat Planas die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Seit die EU-Kommission am 5. Juli ihren Verordnungsentwurf für NGT-Pflanzen vorgelegt hat, wird im Rat der EU-Agrarminister kontrovers darüber diskutiert (der Infodienst berichtete). Um die Einwände der Mitgliedstaaten aufzunehmen, schlägt die spanische Ratspräsidentschaft nun eine Reihe von Änderungen am Kommissionsentwurf vor. Einige würden die Regeln für NGT-Pflanzen noch stärker lockern, als die EU-Kommission das bisher plant. So wollen die Spanier die Kriterien für NGT-Pflanzen der Kategorie 1, die ohne Kennzeichnung und Risikobewertung auf den Markt kommen sollen, noch großzügiger fassen. Die schon jetzt dürftigen Vorgaben für ein Monitoring von NGT-Pflanzen würden weiter verwässert und die Einordnung einer gv-Pflanze als NGT 1-Pflanze erleichtert. Streichen wollen die Spanier auch den Passus, der die Mitgliedstaaten beim Anbau von NGT-Pflanzen der Kategorie 2 zu Maßnahmen verpflichten sollte, die eine unbeschadete Koexistenz von gentechnikfreiem Anbau sicherstellen sollten. Dabei hatten mehrere Mitgliedstaaten diese Regelungen schon im Kommissionsentwurf als unzureichend kritisiert, darunter Deutschland. Um den Kritikern einer Liberalisierung entgegenzukommen, will die Ratspräsidentschaft die Regelung streichen, wonach es für NGT 2-Pflanzen keine nationalen Anbauverbote geben darf. Da jedoch nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz mehr als 90 Prozent der NGT-Pflanzen unter die Kategorie 1 fallen werden, würden Anbauverbote für NGT 2-Pflanzen in der Praxis wenig bringen. Mehr Unterschied macht da der Vorschlag, herbizidtolerante NGT-Pflanzen prinzipiell der Kategorie 2 zuzuordnen, womit eine Zulassung verpflichtend wäre. Auf 2025 verkürzt haben die Spanier schließlich die Frist, in der die EU-Kommission abschätzen soll, wie sich die Patentpraxis bei NGT auf den Markt der Pflanzenzüchtung auswirkt. Quer durch alle Lager war kritisiert worden, dass die EU-Kommission die Entwicklung bei den Patenten bis 2026 lediglich beobachten wollte. Ob ein Jahr weniger die Kritiker besänftigt, die die Patentfrage sofort geregelt sehen wollen, bleibt fraglich. Anders als die Europäische Volkspartei (EVP) im Europaparlament, kamen die Spanier nicht auf die Idee, NGT auch für den Biolandbau freizugeben Diese kleinen Zugeständnisse zeigten bei den Vorberatungen im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (Coreper) vorgestern allerdings wenig Wirkung. Es gelang der Ratspräsidentschaft nicht, eine qualifizierte Mehrheit für ihren Vorschlag zu bekommen, schrieb eine Sprecherin dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. Dazu hätte sie 55 Prozent der Mitgliedstaaten gebraucht, die zugleich 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Nach Informationen aus Brüsseler Kreisen sollen sich Griechenland, Kroatien, Malta, Österreich, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Ungarn und Zypern explizit oder implizit ablehnend geäußert haben. Der deutsche Agrarminister hatte diese Woche der Funke-Mediengruppe gesagt, dass er den spanischen Kompromissvorschlag für unzureichend hält und nicht zustimmen werde. Neben den Interessen der Wissenschaft müssten auch die der Landwirtschaft, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Lebensmittelwirtschaft gewahrt bleiben, so der Grünenpolitiker. Allerdings wird sich Deutschland voraussichtlich enthalten, da die FDP die Liberalisierung der Regeln unterstützt. Auch bei Belgien ist dem Vernehmen nach mit einer Enthaltung zu rechnen. Als unsicherer Kantonist gilt bei den Beobachtenden in Brüssel Frankreich, das zunächst viele Einwände gegen den Kommissionentwurf hatte, die aus seiner Sicht nicht zufriedenstellend ausgeräumt wurden. Aktuell scheint unklar, ob sich der Agrarminister am Montag enthalten oder ob er zustimmen wird. Doch sogar mit Frankreich kämen die dann 16 befürwortenden Staaten nur auf 57 Prozent der Bevölkerung. Die zur qualifizierten Mehrheit fehlenden Prozente will die spanische Ratspräsidentschaft bis Montag noch durch Einzelgespräche zusammenbringen. Ob es gelingt, wird erst die öffentliche Ratssitzung zeigen. Am Kompromisstext soll nach Auskunft der Sprecherin jedenfalls nichts mehr geändert werden. Scheitert der Versuch, eine Ratsposition zu verabschieden, wäre der nächste Anlauf frühestens auf der Sitzung der Agrarminister am 23. Januar 2024 möglich. Doch mit dem Jahreswechsel geht die Ratspräsidentschaft auf Belgien über, das dem Kommissionsvorschlag skeptisch gegenübersteht. Deshalb hätten die NGT-begeisterten Spanier den Verordnungsentwurf im Agrarrat gerne noch in diesem Jahr durchgewunken. Die politischen Diskussionen in Brüssel werden auch in der Zivilgesellschaft mit viel Kritik und Protest begleitet. So haben die Umweltorganisationen BUND, Global 2000 und Friends of the Earth Europe die Marketingversprechen in der Gentechnik-Debatte einem Faktencheck unterzogen und sie als Greenwashing kritisiert. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft fuhr mit einem Trecker vor das Bundeslandwirtschaftsministerium und verlangte, die gentechnikfreie bäuerliche Landwirtschaft zu sichern. Ein Signal sind auch die – Stand heute – mehr als 55.000 Unterschriften für die Petition „Kennzeichnung und Regulierung aller Gentechnik-Pflanzen erhalten!“. Sie wurde erst vor einigen Tagen von der Allgäuer Bio-Bäuerin Barbara Endraß gestartet und wird von einem Dutzend Verbänden und Organisationen aus dem Bio- und Umweltbereich unterstützt. Der Blick der Bio-Branche wird sich am Montag übrigens nicht nur auf die Ratssitzung in Brüssel richten, sondern auch auf Straßburg, wo der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments tagen wird. Auch er will seinen Standpunkt zum NGT-Verordnungsentwurf der EU-Kommission beschließen. Dabei steht unter anderem der Vorstoß der Europäischen Volkspartei (zu der CDU und CSU gehören) zur Abstimmung, NGT 1-Pflanzen für den Bio-Landbau freizugeben. In der zweiten Januarwoche will dann der federführende Umweltausschuss seine Stellungnahme beschließen, über die am 15. Januar das Plenum des Parlaments abstimmen soll. [lf/vef]