SaatgutDas kanadische Landwirtschaftsministerium hat für die meisten gentechnisch veränderten Pflanzen und daraus hergestellte Lebensmittel die Zulassung abgeschafft. Solange kein fremdes Erbgut eingebaut wird, können die Pflanzen ohne jede staatliche Kontrolle angebaut und vermarktet werden. Damit folgte die Regierung eins zu eins Vorschlägen der Gentechniklobby. Biologisch und konventionell gentechnikfrei wirtschaftende Betriebe fürchten nun um ihre Existenz. Anfang Mai verkündete die kanadische Landwirtschaftsministerin Marie-Claude Bibeau neue Saatgutrichtlinien für die kanadische Lebensmittelbehörde CFIA. Sie legen fest, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nur dann behördlich überprüft und zugelassen werden müssen, wenn sie sich in ihren Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit von existierendem Saatgut der gleichen Art wesentlich unterscheiden. Ob dies der Fall ist und sie deshalb die Behörden einschalten, entscheiden die Züchtungsunternehmen selbst. Bereits vor einem Jahr hatte das Gesundheitsministerien seine Vorgaben für neuartige Lebensmittel vergleichbar geändert und die meisten Produkte neuer gentechnischer Verfahren von einer Zulassung ausgenommen. Nun gilt das auch für Anbau und Vermarktung. Dass die kanadische Regelung im Vergleich zu den Bestimmungen in den USA oder Großbritannien besonders gentechnikfreundlich ausfällt, ist übrigens kein Zufall. Medienrecherchen enthüllten im Herbst 2022, dass das Regelungskonzept der Lebensmittelbehörde CFIA ursprünglich vom Gentechniklobbyverband CropLife Canada verfasst worden war. Der Präsident der Behörde nahm seinen Hut, doch die Lobby-Vorschläge blieben. „Die Regierung hat die Sicherheit von gentechnisch veränderten Lebensmitteln vollständig in die Hände von Unternehmen gelegt“, erläuterte Lucy Sharratt, die das Kanadische Biotechnologie-Aktionsnetzwerk CBAN koordiniert. Dies sei schockierend verantwortungslos. Die Kanadier sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Regierung die Sicherheit vieler neuer gentechnisch veränderter Lebensmittel und Saaten nicht mehr bewerten werde. Die Menschen müssten sich künftig auf die Konzerne und die von ihnen finanzierten, vertraulichen Studien verlassen. „Wir brauchen eine unabhängige Wissenschaft, keine Selbstregulierung der Unternehmen“, forderte Sharatt. Eine verpflichtende Kennzeichnung von gentechnisch verändertem Saatgut wird es nicht geben. Statt dessen haben Regierung und Industrie einen „Lenkungsausschuss für die Transparenz von Pflanzenzüchtungsinnovationen“ gegründet. Er schlug in einem Bericht vor, dass neues gentechnisch verändertes Saatgut in die Sorten-Transparenz-Datenbank des kanadischen Verbandes der Saatgutindustrie eingetragen wird. Die Züchtungsunternehmen haben dies zugesagt. Die Verbände der gentechnikfrei wirtschaftenden Betriebe hatten sich in diesem Ausschuss gegen eine solches freiwilliges System ausgesprochen. Doch ihre Argumente wurden nicht berücksichtigt. „Diese Entscheidung steht in direktem Widerspruch zur Zusage der Ministerin, eine Lösung zu finden, die sicherstellt, dass Biobauern weiterhin biologisch wirtschaften können“ sagte Garry Johnson, Präsident der von Landwirten geführten Organisation SaskOrganics und ergänzte: „Wenn nicht sichergestellt wird, dass alle gentechnisch veränderten Samen durch ein obligatorisches öffentliches Register vollständig offengelegt werden, wird es für Biobauern schwierig, die Anforderungen der kanadischen Biostandards zu erfüllen.“ Allison Squires, Präsidentin des Biobauernverbandes Canadian Organic Growers erklärte: „Ohne eine vorgeschriebene Transparenz von gentechnisch verändertem Saatgut ist die Integrität des ökologischen Landbaus in Kanada ernsthaft bedroht.“ Jenn Pfenning, Landwirtin des Bauernverbandes National Farmers Union sagte: „Diese Entscheidung muss rückgängig gemacht werden, sonst werden wir im Laufe der Zeit nicht mehr in der Lage sein, verlässliche gentechnikfreie Lebensmittel anzubieten, einschließlich ökologischer Lebensmittel.“ Das Aktionsnetzwerk CBAN hat die Kanadierinnen und Kanadier aufgerufen, ihre Abgeordneten zu alarmieren. Diese sollen im Parlament gegen die Entscheidung der Regierung aktiv werden. [lf]