Prince Charles meet volunteers (beim Farmbesuch 2009) Foto: Andy Gott, https://bit.ly/3LrTAWU, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/Die neue britische Premierministerin Liz Truss hat das Umwelt- und Agrarministerium neu besetzt. Nicht nur Umweltaktivisten und Gentechnikkritiker, auch konservative Politiker fürchten, dass ihre neue Regierung Landwirtschaft und Umwelt schaden wird. Denn sie will weit mehr, als die neue Gentechnik für die Lebensmittelproduktion freizugeben. Experten erwarten, dass der neue König und Bio-Bauer Charles III sich künftig vor allem hinter den Kulissen für Ökologie und Umwelt engagieren wird. Die frühere Agrarministerin Liz Truss hatte sich in ihrer Wahlkampagne hinter die Landwirtschaftspolitik von Boris Johnson gestellt. Sie wolle „die britische Lebensmittel- und Landwirtschaft entfesseln“, um die Ernährung des Landes sicherer zu machen, sagte sie dem Evening Standard. Die gentechnikkritische Plattform GMWatch erinnerte daran, dass Truss sich als Umweltministerin für bienengiftige Insektizide stark gemacht und als Handelsministerin die Tierschutz- und Umweltstandards für australische Agrareinfuhren gesenkt hatte. Die Bedenken, die diese Bilanz hervorriefen, würden dadurch verstärkt, welche Minister sie ernannt habe, schrieb GMWatch. Als neuen Minister (englisch: Secretary of State) für das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium (Defra) berief Truss Ranil Jayawardena. Die Nummer zwei als Minister of State (entspricht deutschem Staatssekretär) wird Mark Spencer sein. Er ersetzt im Defra den konservativen Politiker Zac Goldstein, der seinem damals noch potentiellen Nachfolger bereits im Juli auf Twitter ein verheerendes Zeugnis ausstellte: „Mark war der größte Blockierer von Maßnahmen zum Schutz der Natur, der Artenvielfalt und des Tierschutzes. Er wird unser ganz eigener kleiner Bolsonaro sein“, schrieb Goldstein in Anspielung auf den brasilianischen Präsidenten, dessen Politik den Amazonasregenwald brennen ließ. „Ein Desaster für die Natur“, prognostizierte der Umweltschützer Miles King via Twitter, sollte Spencer als Landwirt und Vertreter des Bauernverbandes National Farmer Union ins Umweltministerium einziehen. GMWatch wies darauf hin, dass Spencer Vorsitzender der Allparteiengruppe für Wissenschaft und Technologie in der Landwirtschaft war. Diese werde „von der Gentech-Industrie genutzt, um Lobbyarbeit für ihre Geschäftsinteressen zu betreiben, insbesondere für die Einführung des Anbaus von GVO-Pflanzen in der britischen Landwirtschaft“, schrieb GMWatch und bezeichnete Spencer als „enthusiastischen“ Befürworter. Sein Chef Ranil Jayawardena war früher Bankangestellter und als Minister für den internationalen Handel zuständig. Er habe im Parlament konsequent gegen alle Maßnahmen gestimmt, die den Klimawandel eindämmen sollten, zitierte GMWatch die Plattform TheyWorkForYou, die das Abstimmungsverhalten der britischen Parlamentarier erfasst und auswertet. GMWatch erinnerte auch daran, dass die neue Gesundheitsministerin Therese Coffey 2018 auf Twitter für das Monsanto-Herbizid Roundup geworben hatte. „Das sind durch und durch verrückte Ideologen“, twitterte der in Großbritannien bekannte Autor und Schafzüchter James Rebanks. „Für Umwelt, Ernährung und Landwirtschaft sind sie schlimmer als jede Regierung, die wir bisher hatten, einschließlich der in den 80er Jahren.“ Es ist durchaus möglich, dass der Bio-Landwirt auf der Duchy Home Farm, der als Prinz Charles vielfach klar Stellung bezogen hatte, das ähnlich sieht. „Lange bevor es in Mode kam, warnte er vor den Gefahren des Klimawandels. Er sprach sich gegen die Schändung des Planeten, die industrielle Landwirtschaft und gentechnisch veränderte Pflanzen aus“, schrieb Martin Fletcher in The New Statesman. Er zitierte einen hochrangigen Minister mit den Worten, es werde „ernsthafte verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen“, wenn Charles sich als König ebenso verhalte. Fletcher kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass Charles sich seiner neuen Rolle durchaus bewusst sei. Dennoch werde er seine Anliegen weiter verfolgen „Er kann und wird zweifellos seine wöchentliche Audienz bei der Premierministerin nutzen, um bohrende Fragen zu stellen“, schrieb Fletcher und zitierte eine Charles nahestehende Quelle aus der Sunday Times: „Die Dringlichkeit und Wichtigkeit der Themen sind für ihn nicht verschwunden. Er wird die Themen in Zukunft nur anders angehen.“ Eine Gelegenheit dazu wird sich bald ergeben. Das Genetic Technology (Precision Breeding) Bill genannte Gesetz (dt. etwa Gesetz zur gentechnischen Präzisionszüchtung), mit dem die britische Regierung ihr Gentechnikrecht aufweichen will, steht zur dritten und abschließenden Lesung im Unterhaus an. Die zuständigen Ausschüsse haben den Entwurf nicht verändert. Er sollte ursprünglich bereits vorgestern, am 14. September, verabschiedet werden. Doch die Sitzung fiel wegen des Todes der Queen aus. Die Organisation Beyond GM rechnet damit, dass die Entscheidung fallen wird, sobald das Parlament seinen normalen Betrieb wieder aufnehmen wird. [lf]